Sonntagsarbeit

„… und das am heiligen Sonntag!“
Ich sehe vom Wäschekorb auf, in den ich gerade das letzte Stück von der Leine gelegt habe und sehe die ältere Frau an, die gerade in vorwurfsvollem, beinahme bestürzten Tonfall gesprochen hat. Ihre Mine zeigt für einen kurzen Moment so etwas wie Triumph, weil sie meine Aufmerksamkeit erregt hat. Ich wundere mich, dass die dicke Schminke unter dem Grinsen nicht bröckelt. Außer uns ist niemand hier, sie kann also nur mich gemeint haben. Aber das war mir schon klar, als ich ihre Stimme gehört habe.

Sie und ich haben so etwas wie eine Geschichte. Kurz nach meinem Einzug, als ich die erste Wäsche draußen aufgehängt habe, wurde ich von ihr deutlich darauf hingewiesen, dass die Wäscheleine eigentlich zu Ihrem Hausteil gehört und ich doch bitte die Leine verwenden soll, die zu meinem Hausteil gehört. Nicht, weil sie die Leine gebraucht hätte – den ganzen Tag hing kein einziges Stück Wäsche darauf.

Vielleicht noch ein bisschen zu Ihrer Person, damit ihr ein Bild von ihr bekommt: Sie gehört zu der Sorte Mensch, die ihre Enkel mit den Worten „Gib der Oma einen Kuss!“ begrüßt und ihnen mit einem Stofftaschentuch und etwas Spucke imaginären Schmutz aus dem Gesicht wischt. Kaum ist der Sohn dann mit den Enkelkindern außer Sicht lästert sie mit ihrer Freundin über „die Schlampe“, die ihren Sohn verdorben hat und „musste es denn ausgerechnet eine Türkin sein“. Dass sie selbst einen starken Akzent hat scheint sie dabei gerne zu vergessen.

Im Winter trägt sie zur Kirche gerne einen ihrer Pelzmäntel – derer hat sie mehrere, im Sommer zischt sie Mädchen und jungen Frauen in kurzen Klamotten halblaut „Flittchen“ hinterher.
Besonders in Erinnerung habe ich die kleine Feier, die wir nach der letzten großen Renovierung gefeiert haben. Das ganze Haus hat etwas dazu beigesteuert, sogar das arme Rentner-Ehepar aus dem EG, das regelmäßig bei der Tafel einkaufen muss. Von ihr kam ein Glas billige Essiggurken, dafür hat sie sich an den Resten fürstlich bedient.

Normalerweise hätte ich sie keines Blickes gewürdigt und ihre Sticheleien ignoriert, aber heute hat sie mich an einem schlechten Tag erwischt.
„Frau Nachbarin, darf ich Ihnen eine Frage stellen?“
Das triumphierende Grinsen weit einem verdutzten Gesichtsausdruck, ihr Mund geht auf und wieder zu und ich lasse ihr gar nicht erst die Gelegenheit zu antworten.
„Sagen sie, haben Sie letzten Samstag etwas zu Essen gekocht?“
„Ja, aber wie…“
„Und vor zwei Wochen, hatten Sie da nicht am Mittag diese kleine Grillparty?“
„Ja, schon, warum denn auch nicht?!“
Sie fängt sich ein kleines bisschen und die Überraschung schlägt in Empörung um. Der Wind frischt etwas auf und die Luft fühlt sich kühler und dicker an.
„Sie haben also sowohl die Ruhe des Schabbat als auch das Fastengebot des Ramadan ignoriert und damit die religiösen Gefühle von Juden und Muslimen verletzt, ganz ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Und da nehmen sie sich heraus, mir eine Vorhaltung zu machen, weil ich am Sonntag Wäsche wasche. Vielleicht fassen Sie sich das nächste mal an ihre eigene, mit Verlaub ziemlich hoch getragene Nase. Trotzdem, einen besinnlichen Sonntag noch.“
Ich nehme meinen Beutel mit Wäscheklammern und lege ihn über die Wüsche, damit die feinen Tropfen nicht darauf landen. Kurz darauf bin ich durch die Tür und ein Wolkenbruch prasselt auf das bunte Pflaster. Das scheint sie wieder zur Besinnung zu bringen, denn sie flüchtet sich in ihren Hauseingang.

Ich bringe meine Wäsche nach oben, baue das Bügelbrett auf und werde das Grinsen nicht los, als ich die Wäsche weiter versorge. Das hat scheinbar gesessen.